Ausschnitt: VW 1303 Cabriolet, Lothar Spurzem, Quelle: Wikipedia, Rechte: CC BY-SA 2.0 DE, bearbeitet.
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Derzeit wird die zweite Reihe der Terra-X Deutschland-Saga mit dem angesehenen Historiker Christopher Clark im ZDF ausgestrahlt. Wie bei diesem auf breite Unterhaltung und Emotionen zielenden Mehrteiler zu erwarten, fielen die Feuilleton-Kritiken zur ersten Sendereihe bescheiden aus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb von einem Segeltörn »am Klischee entlang«, die Süddeutsche attestierte ein »schnarchlangweiliges Format«, bedachte Clark hingegen »lobend« mit den Titeln »Erzählonkel« und »Rampensau«. Der SPIEGEL hielt Clark für eine gute Neubesetzung nach dem Abtritt Guido Knopps und die Frankfurter Rundschau sah ein »gefällig angerichtetes Menu mit einem nationalen ›Gschmäckle‹« serviert.

Wie vom Historiker Achim Landwehr zu Recht bemängelt, schafft es das ZDF mit der Deutschland-Saga entgegen der Aufmachung nicht, eine neue Art von Geschichtsfernsehen auf die Beine zu stellen. Schon Stefanie Samida und Georg Koch haben, wie auch Charlotte Jahnz und Moritz Hoffmann, die ersten Folgen der Saga auf Zeitgeschichte-online einer lesenswerten Kritik unterzogen. Vielen der genannten Punkte kann ich zustimmen, eine differenzierte Kritik der Deutschland-Saga kann ich jedoch nicht leisten. Dazu müsste ich die Reihe erst mal ganz ansehen und nicht immer vor dem Ende abschalten.

Warum ich abschalte

Das ist weniger der Darstellungsform als dem Thema geschuldet. Das Thema »Deutschland«, wer wir sind, was uns antreibt und wie wir wurden, was wir sind, war schon in knoppschen Zeiten von der Lebenswirklichkeit, in der wir uns befinden, und den Anforderungen, die an uns gestellt sind, überholt. Der Australier Clark erfüllt hier eine Funktion, die deutlicher angesprochen und reflektiert werden sollte. Fast wirkt es, als ob das Ansehen, welches er sich ohne Zweifel als Wissenschaftler, als Experte für deutsche Geschichte und auch als Bestsellerautor verdient hat, dazu führt, dass an ihn und die Deutschland-Saga zweierlei Maß angelegt werden. Der Tenor in der Presse lautet: Das Sendeformat mit aufgewärmten Reenactment-Szenen des ZDF ist langweilig bis schlecht, der Moderator Clark ist ganz ok bis super.

Der Professor tritt, ob nun freiwillig oder unfreiwillig, als Leumundszeuge der »Deutschen« auf. Das ZDF präsentierte ihn im Vorspann als denjenigen, der »die Lizenz« zum Fragen hat. Der Historiker Gerd Krumeich antwortete in einem Interview auf die Frage, wie es zum Erfolg von Clarks »Schlafwandlern« gekommen sei, mit der Vermutung, dass es etwas mit dem quasi Freispruch von der alleinigen Kriegsschuld zu tun haben könnte. Womit sich ein deutscher Historiker vermutlich heftiger Kritik ausgesetzt hätte, erschien nun, da es von einem australischen Cambridgeprofessor in neutralere Bahnen gelenkt wurde, in ganz anderem Licht. Ähnliches passiert nun auch in der Deutschland-Saga. Erst durch Clark wird die romantisierende und teilweise verklärende Erzählung »deutscher« Traditionen wirklich glaubhaft.

Das Sagen-hafte

Der inhaltliche Kern der Deutschland-Saga ist nicht die deutsche Geschichte, sondern ausgewählte Ereignisse, die die deutsche Identität mehr oder weniger bis heute prägen. Dabei werden sprunghaft einsetzende und grob vereinfachende Linien gezogen: vom Neandertaler bis heute; vom wilden Germanen bis zum Spaziergänger, der den wilden deutschen Wald noch immer liebt; von den »Gebrüdern« Grimm bis zur modernen Sprache, die anscheinend noch immer völlig in dieser Tradition steht. Das erinnert schon stark an obsolet gewordene Nationalgeschichtsschreibung. Dabei stehen – trotz anders lautender Serientitel – noch immer »Helden« und »Erfolge« im Mittelpunkt der Erzählung; nicht ohne pflichtgemäß auch auf die »dunklen Kapitel« der deutschen Geschichte einzugehen. Alle diese Linien sind sorgfältig konstruiert und führen auf ein Ziel: die Identifikation mit der deutschen Geschichte. Anders ausgedrückt: Es wird ein Nationalgefühl geweckt und durch historische Erklärungen untermauert.

Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit kann sehr positiv sein. Problematisch wird es, wenn an ein konstruiertes »Deutschsein« Werte und Eigenschaften gebunden werden, die davon losgelöst existieren müssen, damit unsere moderne demokratische Zivilgesellschaft funktioniert. Ein Zusammenleben von Personen mit verschiedenen Ansichten, aus unterschiedlichen Milieus und Kulturen kann nur gelingen, wenn Werte und Tugenden für sich gedacht und an sich überprüft werden. Blicke auf deren historische Genese sind wichtig, um sich zu vergegenwärtigen, dass Freiheiten, Mitbestimmung und andere Errungenschaften keine Selbstverständlichkeit sind. Zumal es meist sehr lange gedauert hat, bis diese erkämpft und erstritten wurden. Aus welchem Kulturkreis, welcher Nation oder welcher Religion sie entspringen, ist dabei jedoch zweitrangig. Nächstenliebe ist elementar, aber um diese zu leben, muss sie nicht aus dem Christentum stammen. Mut und Durchhaltevermögen sind gewinnbringende Eigenschaften – wozu müssen sie mit der Auflehnung der Germanen gegen die Römer in Verbindung gebracht werden? In Deutschland gab es eine Zeit lang sehr kreative und revolutionär denkende Menschen – und dennoch ist das »Volk der Dichter und Denker« nicht mehr als eine nationalistische und abgrenzende Zuschreibung.

Wir brauchen keine Geschichtsvermittlung, die an Nationalgefühl appelliert

Was wir in der Geschichtsvermittlung brauchen, sind Perspektiven, die die Geschichtswissenschaft schon längst für sich entdeckt hat: Geschichten von Generationen, von Arm und Reich, von Individuen und Gruppen, von Kontinenten und globalen Phänomenen, Alltagsgeschichten, Geschichten von Emotionen, von Wirtschaft und Unternehmen, von Erfindungen, von Moden, von politischen Auseinandersetzungen, von Ideologien, von sozialem Engagement, von Netzwerken und Medien. Wir brauchen Geschichten von Seilschaften, kriminellen Vereinigungen, von Polizeiarbeit und Justiz, von Machtmissbrauch und Entrechtung, von Zwangsarbeit, von Arbeitskampf und Lohnarbeit, von Macht und Ohnmacht, von Zivilcourage und vom Scheitern. Wäre es bei dieser, sich nicht erschöpfenden Aufzählungen von Themen nicht ein Leichtes, anderes Geschichtsfernsehen zu realisieren, liebes ZDF? Dafür braucht es auch keine Leumundszeugen und Clark könnte als das auftreten, was er ist: ein gescheiter und humorvoller Geschichtswissenschaftler. Sapere aude!

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